Age+/LOVE/+Life: Eröffnungsrede

Sabine Schicke | Rednerin & Moderatorin

Sabine Schicke | Rednerin & Moderatorin

Grenzgang und KI

Meine Damen und Herrn, Ute Bescht ist eine Grenzgängerin zwischen den Welten. Nicht nur, weil sie aus Oberbayern in den Norden kam, sondern vor allem, weil ihre Arbeiten in kein Raster passen, keine Schachtel und in keine Schublade. Das einmal Erreichte ist immer nur Station auf dem Weg zum Nächsten. Wer Kategorien bemühen möchte, sollte sie großzügig genug wählen, damit die Bilder hineinpassen. Wer sich für gegenständlich als Definition entscheidet, liegt ganz gut, doch wird er oder sie sich wundern, auch Abstraktes zu entdecken. Aber da hören wir schon jene wettern, die sagen: Malerei ist tot. Mag sein, doch wie oft ist sie schon wieder auferstanden? Hier gerade druckfrisch – und digital: Etliche dieser Bilder hängen erst seit gestern. Sie sind eben nicht mit Öl, Acryl oder Aquarell auf der Leinwand verteilt, sondern sie entstehen digital. KI ist das passende Signalwort heutzutage, nicht nur für die Wirtschaft, sondern nahezu als gesamt gesellschaftlicher Hype. Doch auch diese Druckauflage ist limitiert. Ute Bescht sagt über sich: „Meine Bilder bewegen sich zwischen Wahrheit und Wunsch, zwischen Anklage und Versöhnung.“

Als Journalistin erlaube ich mir da die Frage: „Was ist Wahrheit?“ Und wage sogleich die Ergänzung: Wirklichkeit ist in meinen Augen immer auch eine Frage der Perspektive. Objektiv ist nur, was ich messen, wiegen oder zählen kann. Wo es also keinen Zweifel gibt über die objektiv definierten Kategorien, die ich für die Bewertung anwende. Künstler sehen das anders: Will dazu den amerikanischen Großmeister der Farbfeldmalerei, Mark Rothko, zitieren, der sagte einmal „Denn ohne unsere Sinnlichkeit können wir Menschen so etwas wie Wahrheit nicht erfassen.“ Was Juristen dazu sagen, diskutieren Sie, meine Damen und Herren womöglich später bei einem Drink.“

Vernissage Impressionen September 2023

Pippilotta und der Betrug

Ute Bescht ist nicht das, was die Psychologie einen Dauer-Typen nennen würde. Sie bürstet gern Dinge gegen den Strich. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Sie ist Change-Managerin in eigener Sache – und das sehr konsequent. Sie kann nicht auf einen einmal gefundenen Stil festgelegt werden. Daher ich einen Kalenderspruch bemühen, der als Zitat dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschrieben wird: Beständig ist nur der Wandel. Alles fließt. Und will – um auf Ute Beschts Werk zu zu zeigen – auf den 2016 verstorbenen Popstar David Bowie verweisen, den Sie als besonderes Porträt hier oben entdecken werden und der in seinem Song „Changes“ alle ermuntert, sich dem Leben zu stellen, sich immer wieder neu zu erfinden.

Und das tut die Künstlerin bedingungslos. – Und sehr mutig. Sie fordert auch von uns eine Haltung zum Leben. Attitude, wie es ja heutzutage heißt, in den neueren Perspektiven auf das Leben - - und auf die Arbeit, wo wir sich diese Blickrichtung unter New Work und agilem Arbeiten Bahn bricht. Ute Bescht bekennt sich konsequent zur Kunst. Sie malt, also ist sie. „Kunst ist keine Ausdrucksweise, sondern eine Lebenseinstellung“, verewigt sie auf einem ihrer Bilder. Das beginnt schon in der Schule, wo sie als großes Talent im Unterricht beim Zeichnen in Bad Aibling positiv auffällt. Weniger begeistert ist der Lehrer allerdings, als sie bei den Prüfungen einer Klassenkameradin hilft. Das fliegt auf, denn ihr Strich ist nicht zu verkennen. Schon früh prägt sich daher bei Ute Bescht die Überzeugung ein, dass sie als Künstlerin ihren eigenen Weg gehen will. Auf einem ihrer Bilder zitiert sie Picasso: „Jeder ist ein Künstler..." Allerdings nur um das Zitat mit der viel zu früh verstorbenen Hamburger Management-Trainerin Vera F. Birkenbihl zu vollenden, die sagte „bis die Erziehung dazwischenkommt.“ Und – wie um das zu verstärken – finden wir Pippilotta Langstrumpf auf einem der Bilder.

Vernissage Impressionen September 2023

Storytelling? Nur surreal!

In der Nähe von Rosenheim aufgewachsen, scheint die Hochschule in München folgerichtig die nächste Station für sie zu sein. Immerhin die Stadt der Blauen Reiter. Doch den akademischen Kunstkriterien, denen sie dort begegnet, will sie sich nicht anpassen oder gar unterordnen. Sie ist bereit, den Preis für diese Art von Individualität zu bezahlen: Sie wird Zeit ihres Künstlerinnenlebens lang einen Bread-and-Butter-Job brauchen, um sich diese jenseits des Schubladen-Denkens geprägte Malerei leisten zu können. Doch das schreckt sie nicht. Wie gesagt, sie ist eine mutige Frau, die sich auch Unkonventionelles traut. Eine Frau, die ihre Attitude längst gefunden hat.

Sie sucht sich auf dem internationalen Parkett jene Lehrmeisterinnen und Vorbilder, die ihr gefallen und von denen Sie das Gefühl hat, die bringen sie weiter und besucht deren Workshops und Seminare. Wie die früheren Handwerksgesellen könnte man salopp sagen, geht sie auf die Walz, um ihr Können zu perfektionieren. Fläche, Farben, Linie und Formen, Porträt, Perspektive und Komposition sind klassische Gestaltungskriterien, doch Ute Bescht nutzt sie, um ihren Bildern eine tiefere Dimension einzuhauchen. Story-Telling gehört immer dazu. Ihre Bilder erzählen uns Geschichten oder haben Botschaften für uns. Hier ist nichts simpel oder gar einfach. Es ist immer mehr da, als wir auf den ersten Blick sehen. Ihre Werke werden auf internationalen Art-Messen gezeigt.

Vernissage Impressionen September 2023: Kunstwerk: Istvan - Acryl auf Leinwand mit Skulptur

Ziggy Stardust und "To do"

Es geht ihr keinesfalls um Logik und Pragmatismus, sondern eher um Emotionen, Vielfalt, Gesellschaftskritik oder auch um Menschen, die sich für Schwächere einsetzen, für die Natur oder die Veränderung einer Welt, auf der die To-Do-Listen uns den Takt des Lebens diktieren, viele ständig in Angst leben, eine WhatsApp oder ein Piepsen des social-Media-Channels zu verpassen.

Diejenigen, die sie porträtiert, sind selten beliebig, sondern sehr bewusst ausgewählt wie eben David Bowie, der sich als eine Art Gentleman-Star auch für den Frieden und Menschenrechte einsetzte, und zwar nicht nur, wenn es dafür Schlagzeilen gab. Auf einem Bild stilisiert sie ihn cyclamfarbend im Genre eines Polizeifotos des NYPD, Vorwurf: ziviler Ungehorsam. Was für ein grandioser vorweggenommener Gegenentwurf zu Donald Trumps Polizeifoto, das wir vor (damals) 14 Tagen sehen mussten.

Bowie ist auch schillernd als Star und erfindet sich immer wieder neu, in dem er sein Image und seine Person verändert, etwa 1972 als Kunstfigur Ziggy Stardust. Ute Bescht malt das Gesicht des Stars nahezu in naturalistischer Konturierung, wenn auch farblich durchscheinend. Also lucide, sie verwässert Acryl nass in nass. So kann sie ihren Übergängen und Bildhintergründen fast den Effekt verleihen, als wären es Aquarelle.

Vernissage Impressionen September 2023

Kunst, Gehirn & dechiffrieren

Ein anderes Mal begegnet uns ein anonymer Jugendlicher mit versteinertem Blick. Schauen Sie bitte einmal auf die Hände, die in der Malerei als das Schwerste gelten, wie sie überall in den Museen entdecken können. Ute Bescht kann Hände. Schöne Hände. Das Bild collagiert sie – wie oft – in diesem Fall mit Sand, andere Werk mit Stoffresten oder ähnlichem. Dadurch rauht sie auch die Oberfläche auf. Sie gestaltet sehr frei, teilweise mit Symbolen aus Flowerpower-Zeiten. Doch nicht nur. Dürfen wir da den Stern eines Untertürkheimer Autobauers in leuchtendem Rotpink erkennen oder ist das jenes unvollendete Peace-Symbol? Sie reicht uns eine Sequenz an, frei übersetzt etwa: Könnt ihr guys da mal etwas fertig machen? Zu wem sie da spricht, wissen wir nicht. Müssen wir auch nicht. Dieses Kunstwerk vollendet sich in unseren Augen, und das Gehirn dechiffriert dazu die Muster, die dazu in unserem inneren Archiv abgelegt sind.

Marcel Duchamp, einer der Großen des Surrealismus aus dem vergangenen Jahrhundert, gehört die Urheberschaft der Aussage aus genderfreier Zeit: „Ein Kunstwerk vollendet sich im Auge des Betrachters.“ Und da viele Werke Ute Beschts dem Surrealismus verwandt, wenn nicht sogar direkt zuzuordnen sind, lassen sie uns einen Moment eintauchen in diese Richtung, die sich ab den 1920er Jahren vor allem von Paris aus gegen traditionelle Normen wandte, in der Kunst - wie im Leben. Irreales und Überraschendes mit einbezog, nicht an der Realität gemessen werden wollte. Eine der besonderen Trophäen ist bis heute eine Tasse, die die Künstlerin Meret Oppenheim 1936 samt Löffel mit Pelz überzog und die bis heute im Moma in NY aufbewahrt und selten gezeigt, niemals ausgeliehen wird. Sehgewohnheiten in Frage zu stellen, Tatsachen mit Fragezeichen zu versehen und Traumerlebtes auf einem Tableaux zu stilisieren, das wagte man. Anything goes.

Vernissage Impressionen September 2023

Die Kahlo, die Westwood, die Bescht

Die heute als am populärsten gefeierte Surrealistin ist wohl die Mexikanerin Frida Kahlo, nicht zuletzt seit Hollywood 2002 ihre Biografie verfilmte. Wir finden ihre Bilder sogar auf Einkaufstaschen. Eine Meisterin des Inszenierens war auch Vivienne Westwood, die vor kurzem verstorbene britische Modeschöpferin, der Ute Bescht sogar eine Performance widmete, als sie ihr vorwiegend in warmem leuchtenden Burgund gehaltenes Porträt vorstellte. Dazu passend entwarf und nähte sie ein Manifesto-Kleid mit ihrem Kunst-Credo sowie weitere Einzelteile. Auch in der exzentrisch- extrem kreativen Vivienne Westwood sieht die Künstlerin jenes Kämpferische, jene Schwester im Geiste für eine friedliebende Gesellschaft und eine Kunst, die nicht dem totalen Diktat des Kommerzes unterworfen ist.

Erst gestern wurde hier im Haus umgehängt unter dem Motto „Age+/Love/+Life“. Auch Vivienne Westwood und David Bowie gestalteten das Alter auf ihre Weise unangepasst. Ute Bescht will mit diesem neuen Werk nicht nur dem Zeitgeist widersprechen, sondern die Perspektive auf das Alter - und wie es zu sein hat - in Frage stellen. Seien wir ehrlich: Wir alle wollen möglichst alt werden, aber alt sein, das wollen wir nicht. Alt, das sind bei den Klassentreffen doch immer nur die anderen. Niemals wir. Die Attribute dieser Lebensphase erleben Sie auf den Bildern neu, das werden Sie schon auf der Einladungskarte mit den lila changierenden, üppigen Seidenkleidern auf dem Foto bemerkt haben. Falten sind in dieser Serie nicht nur im Plissee der verschwenderischen Stoffe erlaubt, sondern auch in den Gesichtern der Models. Da alle digital entstanden sind, wäre kein Chirurg vonnöten gewesen, sie glatt zu schneiden. Aber genau das ist nicht gewollt, sondern die Freiheit des Alters und der Möglichkeiten zu feiern.

Vernissage Impressionen September 2023

Kunst, Gehirn & dechiffrieren

„Age+/Love/+Life“ so nennt Ute Bescht ihre neue Serie und sagt darüber: Ich verarbeite hier meinen eigenen Wunsch an das Altern: den Körper nicht nur zu akzeptieren, wie er ist und werden wird, sondern ihm auch dankbar zu sein. Für all das, was er mir in den vergangenen Lebensjahren geschenkt, verziehen, ausgehalten hat.“ Das, was wir auf den hochwertigen Prints sehen, sind fiktive Charaktere, die sie aus real existierenden konzipiert, adaptiert und künstlerisch bearbeitet hat.

Lassen Sie mich zum Schluss den südafrikanischen Politiker Nelson Mandela zitieren, der sich wie Vivienne Westwood und Rod Stewart bis ins hohe Alter niemals versteckt hat oder gar verstummte: er sagte: „Als ich aus der Zelle Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben.“

Vernissage : Age+/LOVE/+Lifve #8 (not in show)

Kuratorin:

Ulrike Kafka

Kafkas Ungewöhnlich

Galerie à la Guggenheim

Copyright

2023 Ute Bescht

Werke im Contest Art Miami

Age+/LOVE/+Life